MUT-03: SYSTEMGRENZEN WERDEN NEUE GEMEINDEGRENZEN
Zweck
Um die künftigen Herausforderungen bewältigen zu können, müssen Systemgrenzen zu den neuen Gemeindegrenzen werden.
Dasselbe gilt für die nächsthöhere Ebene, die das MITEINANDER in Form eines regionalen Gemeindeverbandes gewährleistet.
Einstellungen und Erwartungen der Menschen verändern sich ständig. Die zahlreichen Kooperationen belegen die Überforderung der einzelnen Gemeinden. Dies macht es notwendig, dass sich die Gemeinden und Regionen MITEINANDER auf einen Transformationsprozess einlassen, um ihre Systeme zu adaptieren und aktiv zu gestalten.
Ausgangssituation
Unsere Gemeinden und Regionen als auch deren Personal straucheln ob der Fülle an Aufgaben und Erwartungen, die von diesen erfüllt werden sollten.
Heute sind die Menschen in vielerlei Hinsicht mobiler als früher. Die Bürger:innen erledigen ihre Amtswege meist digital. Der Besuch des Gemeindeamtes ist nur eingeschränkt notwendig. Wann, zu welchem Anlass und wie oft kommen Menschen heutzutage schon ins Gemeinde-, Stadtamt oder in den Magistrat?
Das aktuelle Finanzausgleichsgesetz (FAG) lässt eine tiefgreifende Aufgaben- und Verantwortungsaufteilung, die Entflechtung von Zuständigkeiten als auch strukturelle Veränderungen und das Beseitigen von Doppelgleisigkeiten vermissen. Zunächst als Frohbotschaft vor Weihnachten 2023 positiv verkündet, wurde das FAG nach den Weihnachtsferien schon wieder von den Ländern als auch den Gemeinden „bejammert“.
Die Anreize der derzeitigen Fördersysteme sind zu gering, als dass sich Gemeinden und Regionen Gedanken um ihre Weiterentwicklung oder gar Gemeindefusionen ins Auge fassen. Vielmehr werden gerade kleine Gemeinden über die Maßen hinaus gefördert, sodass es für diese nicht erstrebenswert erscheint, sich mit diesem Thema auseinanderzusetzen. Hier fehlen offenbar wirkliche Anreize, um sich auf den Weg zu machen, die eigene Zukunft aktiv und vorausschauend zu gestalten.
Alle möchten in allen Ebenen Einfluss nehmen können. Von Bundes- über die Landesebene werden Initiativen gesetzt und Anschubförderungen in Aussicht gestellt. Die Umsetzung wird den Gemeinden überlassen, welchen immer mehr und mehr Aufgaben zugemutet und übertragen werden. Die Gemeinden mit ihren Bürgermeister:innen und Verwaltungsmitarbeiter:innen als auch weitere Einrichtungen (Kleinkinder-, Kinder- und Schülerbetreuung, Kindergärten und Volksschulen, Seniorenbetreuung, …) werden durch die Fülle an Aufgaben überfordert.
Viele Bereiche der Daseinsvorsorge wie die Kleinkindbetreuung, Elementarpädagogik, Kindergarten, Volksschule, Jugendarbeit, etc. als auch mobile Hilfsdienste, Pflegeheime u.v.a.m. können schon seit Jahren nicht mehr von einer Gemeinde allein bewältigt werden. Durch diese „Überforderung“ wird eine gewisse Abhängigkeit von der nächsthöheren Gebietskörperschaft geschaffen. Es entsteht der Eindruck, dass grundsätzlich keine starken Gemeinden gewünscht sind, sondern diese lieber in einer Art Bittsteller-Position klein und „hörig“ gehalten werden.
Viele Gemeinden sind in ihrer Mitarbeiter:innenanzahl als auch bevölkerungs- und flächenmäßig – was die nutzbaren Flächen betrifft – zu klein, um selbständig und autonom agieren zu können. Zumeist fehlt auch ausreichend qualifiziertes Personal, welches einerseits zu hohe Kosten verursachen würde, andererseits wohl auch in der jeweiligen Kompetenz nicht voll ausgelastet wäre.
Immer mehr Gemeinden stehen vor der Herausforderung, überhaupt Menschen zu finden, die sich als Bürgermeister:in zur Wahl stellen. Daher ist es nicht nachvollziehbar, warum Gemeindefusionen immer noch tabuisiert werden.
Der Artikel 116a des Bundes-Verfassungsgesetzes, BGBl. Nr. 1/1930 wurde mit dem BGBl. I Nr. 60/2011, welches am 01.10.2011 inkraftgetreten ist, ermöglicht den Gemeinden, sich durch Vereinbarung zu Gemeindeverbänden zusammenzuschießen, um ihre Angelegenheiten (nun ohne spezielle Einschränkungen) zu besorgen. Zuvor war es nur möglich, Gemeindeverbände zu gründen, die einzelne Angelegenheiten betrafen. Das führte dazu, dass mehrere Gemeindeverbände geschaffen wurden, die meist bis heute aus denselben bzw. ähnlichen Gemeinden und Gremien bestehen. Die Personen, welche in diese Gremien entsandt werden, decken sich weitgehend. Eine Zusammenführung von Verbänden ist nach der o.a. Gesetzesänderung meist – auch wenn dringend notwendig – nicht erfolgt, hätte jedoch großes Potenzial.
Eine Bereinigung bzw. Zusammenführung der vorhandenen Gemeindeverbände zu einem regionalen Gemeindeverband ist meist nicht erfolgt.
Schulverbände, Verbände nach dem Wasserrechtsgesetz etc. unterliegen unterschiedlichen Gesetzesmaterien. Daher ist derzeit eine Zusammenführung dieser mit anderen Verbänden derzeit nicht möglich. Diese Verbände sollten in einem regionalen Gemeindeverband integriert werden können. Hier liegt noch einiges Potential, das es zu nutzen gilt.
Neben Gemeindeverbänden wurden teilweise auch Verwaltungsgemeinschaften gebildet, um die Entscheidungsgewalt nicht zu verlieren. Eine Verwaltungsgemeinschaft dient jedoch allen Gemeinden der Verwaltungsgemeinschaft. Die Einflussnahme der Bürger:innen auf die zahlreichen verschiedenen Gemeindeverbände als auch Verwaltungsgemeinschaften ist äußerst überschaubar. Strenggenommen wird durch einen Verband bzw. Verwaltungsgemeinschaft der Abstand zu den eigenen Bürger:innen vergrößert, weil die Mitglieder der Gremien von den jeweiligen Mitgliedsgemeinden entsandt werden. Auf diese Entsendung haben die Wähler:innen keinen direkten Einfluss.
Bürger:innen möchten direkt mitgestalten!
Eine Gemeindefusion ist ein partnerschaftlicher Ansatz. Zwei oder mehrere Gemeinden bzw. Systeme fusionieren, verschmelzen bzw. gehen zusammen. Bei einer Verschmelzung entsteht meist etwas Neues. Um zu gewährleisten, dass sich nicht eine Gemeinde anderen „unterordnen“ muss, ist es empfehlenswert, einen neuen gemeinsamen Namen – meist liegt ein solcher sowieso schon auf der Hand – zu finden, in welchem sich die Masse der Bevölkerung wiederfinden kann.
Die Steiermark hat ihre Gemeindereform vor wenigen Jahren durchgeführt. Die Aufregung war mancherorts groß. Heute nimmt man davon nicht mehr viel wahr.
Die aktuellen Gemeindegrenzen werden als gegeben und unverrückbar angesehen. Bestrebungen sich mit diesen historischen Grenzziehungen auseinanderzusetzen, sind nicht wahrnehmbar. Es mangelt daran, die Systempartner:innen und die Systemgrenzen zu ergründen. Anhand der jeweiligen Systemgrenzen in den einzelnen Bereichen ließen sich auf einfache Art und Weise neue kommunale und regionale Systemgrenzen ausmachen. Diese Systemgrenzen können in Folge als neue Gemeindegrenze herangezogen werden. Alles, was nicht von der neuen Gemeinde selbst, sondern nur regional gelöst bzw. organisiert werden kann, wäre auf regionaler Ebene zu lösen. Für die regionale Ebene böte sich ein einziger regionaler Gemeindeverband an, der alle regionalen Angelegenheiten (ÖPNV, Tourismus, Abwasserentsorgung, …) besorgt.
Gemeindefusionen bedürfen einer Volksabstimmung der betroffenen Bürger:innen der jeweiligen Gemeinden, sofern diese nicht anderweitig verordnet werden. Die Bürger:innenentscheid stellt dabei sicher, dass das Ganze breit getragen wird. Dazu ist im Vorfeld einiges an Aufklärungs- und Informationsarbeit zu leisten. Darauf aufbauend ist ein ergebnisoffener und breiter regionaler Bürger:innenbeteiligungsprozess durchzuführen. Grundsätzlich kann davon ausgegangen werden, dass die Menschen in den Gemeinden in dieser Hinsicht viel offener und gedanklich weiter sind als so manche Mandatsträger:in und verantwortliche Person in den verschiedenen Gremien der Gemeinden und Regionen. Die Realität zu verleugnen, führt jedenfalls nicht in eine erfolgreiche Zukunft.
Die Realität zu akzeptieren, ist der erste Schritt in Richtung Lösung.
Auch der Österreichische Gemeindebund und dessen Verbände bzw. Bünde auf Länderebene selbst nehmen – wie auch die meisten Länder – in Sachen Gemeindefusionen eine eher zurückhaltende Position ein. Den Bürgermeister:innen ist schon lange klar, dass kein Weg an Gemeindefusionen vorbeiführen wird. Natürlich reden die Bürgermeister:innen untereinander immer wieder darüber. Der Aprilscherz der Jagdberggemeinden am 01. April 2024 in den Vorarlberger Nachrichten dokumentiert dies auf scherzhafte Weise. Oder handelt es sich dabei um eine Art von Realitätsverweigerung?
Gemeindefusionen ein TABU?
Viele Bürgermeister:innen, hoffen wohl insgeheim, dass sie selbst das Thema Neuorganisation/Gemeindefusion wohl nicht mehr betreffen wird. Sie hüten sich geradezu davor, das Thema öffentlich und fundiert anzusprechen.
Die Menschen möchten verantwortungsvoll, aktiv und so direkt wie möglich, mitgestalten. Durch den Umweg über Kooperationen ist das nur eingeschränkt möglich, weil diese nur indirekt über die Vertreter:innen Mitgliedsgemeinden gesteuert werden können. Wäre die Organisation in eine größere Gemeinde eingebettet, könnten die Menschen direkter und ohne unnötige Umwege mitgestalten und auch Verantwortung übernehmen.
Gemeindefusionen müssen nicht unweigerlich billiger sein. Gemeindefusionen bringen jedoch mehr Rechtsicherheit, Kompetenz und Fach- und Sachlichkeit ins System. Höher qualifiziertes Personal kann eingestellt werden, was auch die Mitarbeiter:innen schützt und nicht ständig überfordert. Derzeit besteht die Gefahr, dass gerade das Personal der kleineren Gemeinden „ausbrennt“.
Die durch eine Gemeindefusion personell besser aufgestellte Verwaltung führt zudem dazu, dass die Entscheidungsgrundlagen für die verschiedenen Gremien fundierter und präziser aufbereitet werden können. Das wiederum wird auch Menschen, die auch in ihrem beruflichen Leben stark gefordert sind, dazu bewegen, sich für die Allgemeinheit bzw. in den Gremien zu engagieren. Ihnen liegen klare Grundlagen für die Entscheidungsfindung vor und die Umsetzung erfolgt nach der Beschlussfassung ebenso professionell. Menschen engagieren sich gerne, wenn die Zeit und das Engagement sinnvoll eingesetzt werden. Sie alle möchten wirksam werden und sein.
Die österreichischen Gemeindeverbände bzw. -bünde nehmen in diesem Bereich eine ganz besondere und verantwortungsvolle Rolle für die Zukunft ihrer Mitgliedsgemeinden ein.
Die österreichischen Gemeindeverbände bzw. -bünde sollten größtes Interesse daran haben, ihre Mitgliedsgemeinden bestmöglich für die Herausforderungen der Zukunft aufzustellen!
Neben zahlreichen Aufgaben und Zuständigkeiten der österreichischen Gemeindeverbände bzw. -bünde sollten sich diese intensiver mit der Zukunft der Gemeinden und Regionen beschäftigen. Natürlich bestimmen die aktuellen Herausforderungen immer das Geschehen. Die Gemeindeverbände bzw. -bünde sollten sich neben ihrem Tagesgeschäft auch im Interesse ihrer Mitgliedsgemeinden damit befassen, wie die Gemeinden und die jeweiligen Regionen zu gestalten und zu organisieren sind, um den Ansprüchen der Menschen nachhaltig gerecht zu werden.
Ursachen statt Symptome bekämpfen!
Bevor Gemeindefusionen vonstattengehen, sind die dafür notwendigen Grundlagen zu schaffen. Im Rahmen eines ergebnisoffenen Bürger:innenbeteiligungsprozesses, machen die politischen Mandatare, Bürgermeister:innen und weitere Verantwortliche MITEINANDER und auf Augenhöhe mit ihren Menschen ihren neue Gemeinde und Region zukunftsfit.
Immer wieder ist von interkommunalen Betriebsgebieten oder vom interkommunalen Finanzausgleich die Rede. Interkommunale Betriebsgebiete sind schwer zu finden. Eine für die involvierten Gemeinden allseits akzeptable Aufteilungsschlüssel für Investitionen als auch der daraus gewonnen Einnahmen zu vereinbaren, stellt eine ganz besondere Herausforderung dar. Das österreichische Gesamtsystem ist äußerst ausgleichend angelegt. Kommen neue Einnahmequellen hinzu, fällt mitunter der eine oder andere Ausgleichmechanismus (Bedarfszuweisungen, Förderungen, …) weg. Dies führt zu keiner spürbaren Verbesserung und hemmt somit eine gemeindeübergreifende Zusammenarbeit.
Durch die überschaubaren Gemeindegrößen suchen Investoren und Betriebe die für sie beste Lösung. Die Gemeinden treten in diesem Wettbewerb gegeneinander an. Bilden diese Gemeinden jedoch eine größere Gemeinde, wird gesamthaft – auch raumplanerisch – ein weit besseres Ergebnis erzielt.
Die drei Erfolgsfaktoren dazu – wie in der gesamten Standort- und Regionalentwicklung allgemein – sind:
Mensch, Zeit und Raum
Nur wenn alle drei Faktoren in gleicher Weise bedient werden, ist eine Standort- und Regionalentwicklung möglich und erfolgreich.
Mensch
Es sind die Bürgermeister:innen selbst, die einen großen Einfluss darauf nehmen können, das Tabu aufzuheben und das Thema Gemeindefusion endlich anzusprechen.
Den Bürgermeister:innen kommt hier eine äußerst wichtige Rolle zu. Nicht die Position der Bürgermeister:innen, sondern vielmehr das Wohl der Menschen und der Gemeinden haben dabei im Vordergrund zu stehen. Die Bürgermeister:innen sind es, die den Weg für einen ergebnisoffenen Prozess bereiten können. Es wird kein Projekt, sondern ein Gemeindeentwicklungsprozess sein, der von allen Beteiligten einiges abverlangen wird.
Mit einer breiten Bürger:innenbeteiligung der betreffenden Region können die Systemgrenzen und Systempartner:innen definiert werden. Diese Systemgrenzen können in weiterer Folge als neue Gemeindegrenzen herangezogen werden. Die Systemgrenzen lassen sich zu einem großen Teil schon aus den bisherigen „Kooperationen“, die wohl eher als „Kollaborationen“ zu bezeichnen wären, ableiten. Trotzdem ist immer wieder zu hinterfragen, warum die Systemgrenze genau so verlaufen soll und nicht anders. Das trägt dazu bei, dass alle Menschen und Systempartner:innen (Firmen, Institutionen, …), die Möglichkeit erhalten mitzugestalten, aber auch das gesamte System besser verstehen lernen. Die Beteiligten übernehmen in gewisser Weise auch selbst Verantwortung für ihre gemeinsame Zukunft.
Das kollektive Gedächtnis und die daraus resultierenden Einstellungen, Vorbehalte, Befürchtungen und Barrieren sind dabei ebenso zu berücksichtigen als auch die Geschichte des Gesamtsystems. Hierfür ist es mitunter notwendig, verschiedene Themen und Narrative sachlich und objektiv aufzuarbeiten, um die Beteiligten möglichst gut mitnehmen zu können.
Die beteiligten Personen werden während des gesamten Prozesses MITEINANDER Höhen sowie Tiefen erleben und ihre Streit- und Gesprächskultur als auch das Verständnis für Anliegen des anderen weiterentwickeln.
Die Bildung von größeren Gemeinden erhöht auch die durchschnittliche Einwohnerzahl der Gemeinden insgesamt. Dadurch erhöhen sich im Bereich der Daseinsvorsorge nicht nur die Anforderungen, sondern vielmehr die Möglichkeiten Synergien bestmöglich zu generieren.
Zeit
Solche Vorhaben benötigen den richtigen Zeitpunkt und brauchen auch ihre Zeit.
Den Zeitpunkt abzuwarten, ist definitiv die zweitbeste Lösung.
Durch Aufklärung und die ehrliche Ansage, einen offenen Beteiligungsprozess einzuleiten, sich MITEINANDER auf den Weg zu machen, kann dieser Zeitpunkt selbst gewählt werden.
Eine ganze spezielle Herausforderung ob der vielfältigen Themen und Aspekte wird es sein, den gesamten Prozess zu synchronisieren.
Raum
Eine Gemeindefusion ist von einer Vereingemeindung zu unterscheiden. Bei der Vereingemeindung wird eine Gemeinde bzw. ein Ort von einer größeren Gemeinde aufgenommen, um nicht zu sagen, vereinnahmt.
Nimmt man einem Ort seinen Namen oder bezeichnet den Ort lediglich als „Ortsteil“ nimmt man schon unbewusst vorweg, was später genau aus diesem Grund passieren wird: Der Ort wird, sobald dieser nicht mehr als ORT bezeichnet wird, auch seine Orts-Funktion früher oder später nicht mehr erfüllen.
Die Menschen benötigen einen Bezug zu ihrem nahen Umfeld. Die Menschen wollen und müssen sich mit ihrem Ort identifizieren können, um sich auch für diesen und ihre Gemeinschaft einbringen zu können und zu wollen.
Das Finden des neuen Namens und Wappens der Gemeinde könnte den finalen Akt des ganzen Prozesses darstellen. Die Identifikation mit dem eigenen Ort bleibt nach wie vor bestehen.
„Systemgrenzen werden die neuen Gemeindegrenzen“ ist weit mehr als eine Gemeindefusion!
Der Ansatz „Systemgrenzen werden die neuen Gemeindegrenzen“ erhebt einen höheren Anspruch als „nur“ Gemeinden zu fusionieren. Der Anspruch zunächst die Systemgrenzen und -partner:innen zu definieren und darauf aufbauend die neuen Gemeinde- und Regionsgrenzen zu ziehen, ist mitunter herausfordernder, als nur zwei oder mehrere Gemeinden zu fusionieren. Dafür ist mehr zu tun, als „nur“ vorhandene Gemeinden zusammenzuführen, indem eine Volksabstimmung in den betroffenen Gemeinden stattfindet. Vielmehr sind in diesem Prozess bestehende Gemeindegrenzen zunächst außer Acht zu lassen. Nur so kann gewährleistet werden, dass die „Grenzziehung“ entlang der MITEINANDER herausgearbeiteten Systemgrenzen erfolgt.
Im Rahmen des Prozesses sind die Grenzen der der Region in gleicher Weise wie die der Gemeinden zu entwickeln.
Unter „Raum“ sind auch Räume für die Entwicklung, die breite Diskussion und Teilhabe als auch Mitgestaltung zu verstehen. Grundsätzlich sollten alle bzw. Vertreter:innen der jeweiligen Systempartner:innen zur selben Zeit am selben Tisch dasselbe besprechen und entwickeln.
Es wird unabdingbar sein, den Raum für gewisse agile Methoden und ein Klima einer offenen Diskussions- und Dialogkultur sicherzustellen. Fehler sind erlaubt bzw. erwünscht, um aus diesen zu lernen und Ableitungen sowie neue und kreative Lösungen entwickeln zu können.
Durch die Bildung einer größeren Gemeinde eröffnen sich raumplanerisch und für die Ansiedlung von Institutionen und Betrieben neue und optimaler Möglichkeiten. Das sogenannte „Kirchturmdenken“ wird dadurch weitgehend unterbunden.
Lösungsansatz
Die Gemeinden sind in der Weise zu organisieren und abzubilden, dass diese ihre Aufgaben und Herausforderungen nachhaltig erfüllen können. Hierfür sind die Rahmenbedingungen zu schaffen, indem die Systemgrenzen und -partner:innen ausgelotet werden. Die mit breiter Bürger:innenbeteiligung der jeweiligen Region herausgearbeiteten Systemgrenzen bilden die neuen Grenzen der Gemeinden und deren Region. Dieser ergebnisoffene Prozess ist weit mehr als eine übliche „Gemeindefusion“. Die Förderlandschaft ist in der Weise zu gestalten, dass die Anreize, sich MITEINANDER auf einen solchen Transformationsprozess einzulassen, weit attraktiver wahrgenommen und empfunden werden als die aktuellen.
Gemeindekooperationen können nur ein kurzer Zwischenschritt aber niemals die nachhaltige Lösung sein!
Bilder sagen oft mehr als tausend Worte. Bereits 2011 befasste ich mich im Rahmen meiner Masterarbeit mit dem Thema Gemeindefusionen. In diesem Rahmen war es mir naturgemäß nicht möglich, einen breiten Diskussionsprozess in der Region zu führen.
Das Zielbild für das Montafon stellte sich für mich nach intensiver Auseinandersetzung mit unterschiedlichen Aspekten wie folgt dar:
Drei dynamische Gemeinden der Region Montafon (2011) (c) Martin Netzer und Bernhard Maier
Der Stand Montafon wurde am 07.03.1865 gegründet und existiert in zwei Ausprägungen (politischer Stand Montafon und Forstfonds des Standes Montafon) bis heute. Drei neue Gemeinden sorgen dabei für die entsprechenden Dynamik in der gesamten Region Montafon.
Heute vertrete ich die Ansicht, dass der Anspruch höher sein muss als „nur“ Gemeinden zu fusionieren. Es geht um weit mehr. Deshalb möchte ich mit dem aktuellen Lösungsansatz „Systemgrenzen werden neue Gemeindegrenzen“ den Anstoß dazu geben, die Zukunft aktiv zu gestalten.
Zu warten, bis die Gemeinden und Regionen zum Reagieren gezwungen sind, ist ganz sicher der falsche Weg.
Vorteile von „Systemgrenzen werden neue Gemeindegrenzen“
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Im Rahmen eines ergebnisoffenen Bürger:innenbeteiligungsprozesses entwickeln und schaffen die Menschen der jeweiligen Region ihre eigene Gemeinde- und Regionsstruktur. Mit diesen neuen Strukturen können die künftigen Herausforderungen bewältigt werden.
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Da Bürger:innen heutzutage die meisten ihrer Amtswege digital erledigen, wird das Gemeindeamt nur in Ausnahmefällen aufgesucht. Dies birgt ein gewisses Einsparungspotential.
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Auch wenn eine solche „Gemeindefusionierung“ nicht unbedingt billiger sein wird, ermöglicht diese den Gemeinden höher qualifiziertes Personal anzustellen. Die Fülle der Aufgaben als auch die vorhandenen Ressourcen können gebündelt, optimiert und besser bewerkstelligt werden. Durch das qualifiziertere Personal wird mehr Rechtsicherheit, Kompetenz und Fach- und Sachlichkeit ins System Dies senkt die Schwelle, sich gemeindepolitisch zu engagieren.
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Durch die professionelle Aufbereitung der Entscheidungsgrundlagen und die ebenso professionelle Umsetzung der getroffenen Beschlüsse wird wieder mehr Menschen dazu bewegen, sich für die Allgemeinheit zu engagieren oder in den unterschiedlichen Gremien Verantwortung zu übernehmen.
Menschen engagieren sich vor allem dann, wenn sie wirksam werden können.
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Menschen, die sich der Wahl für das Bürgermeister:innenamt – für welches es in Österreich immer noch keine entsprechende Ausbildung gibt – stellen, können davon ausgehen, dass ihr Gemeindeamt über ausreichend und qualifiziertes Personal verfügt, um die Fülle an Aufgaben gewährleisten zu können.
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Gerade in der Daseinsvorsorge können die bereits gemeindeübergreifend tätigen Vereine und Institutionen in den Rahmen der neuen Gemeindegrenzen gegossen werden. Das erleichtert ihre Arbeit und notwendige Abstimmungen
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Das Thema „Gemeindefusion“ bzw. „neue Gemeindegrenzen“ werden vorbehaltslos diskutiert und aus eigenen Stücken aktiv gestaltet. Der Gemeindeverband bzw. -bund im jeweiligen Bundesland bzw. auf Bundesebene engagieren sich aktiv in diese Richtung, um ihre Mitgliedsgemeinden schon in ihrem ureigensten Interesse zukunftsfähig aufzustellen und entsprechend zu organisieren.
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Die mit den Bürger:innen entwickelten und festgelegten Systemgrenzen, welche die künftigen Gemeindegrenzen darstellen, werden verstanden und breit getragen. Zudem ist für alle geklärt, welche Aufgaben und Zuständigkeiten bei der künftigen Gemeinde bzw. auf regionaler Ebene beim Gemeindeverband angesiedelt sind.
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Die „Gemeindefusion“ stärkt den direkten Einfluss der Bürger:innen bzw. Wähler:innen als auch deren aktive Teilhabe und Verantwortungsübernahme. Die Steuerung bisheriger Kooperationen, Organisationen und Institutionen rückt näher zu den Menschen. So können die Menschen, welche hier mitgestalten und auch Verantwortung übernehmen möchten, dies auch tatsächlich TUN.
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Die künftigen Regionsgrenzen entsprechen ebenso wie die Grenzen der Gemeinden den regionalen Systemgrenzen.
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Die Anpassung der gesetzlichen Grundlagen ermöglicht die Zusammenführung bisher nicht davon erfasster Verbände. Dies führt auch auf regionaler Ebene zu einer transparenteren Haushaltsführung und bereinigt unnötige Strukturen.
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Der eine regionale Gemeindeverband erfüllt sämtliche Angelegenheiten der Region bzw. der neuen Mitgliedsgemeinden. Der Artikel 116a des Bundes-Verfassungsgesetzes, BGBl.Nr. 1/1930 bzw. BGBl. 1 Nr. 60/2011, wird nun im Sinne der Region genutzt.
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Spürbare und erstrebenswerte Anreize (Förderungen)schaffen die Voraussetzungen dafür, dass sich Gemeinden und Regionen von sich aus auf den Weg machen, sich neu zu organisieren.
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Die höhere durchschnittlichen Bevölkerungsanzahl birgt viele Potentiale, die nun genutzt werden können.
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Durch die neue Gemeindegröße kann die neue Gemeinde gesamthafter agieren und verfügt in raumplanerischer und organisatorischer Hinsicht über mehr Optionen und erweitert ihre eigene Handlungsfreiheit. Ein interkommunaler Finanzausgleich ist nicht mehr notwendig, weil das Betriebsgebiet nun in der einen neuen größeren Gemeinde liegt.
Der Weg entsteht im Gehen!
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Machen wir uns gemeinsam auf den Weg in eine erfolgreiche Zukunft der Gemeinden und Regionen!
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Die aus diesem Gemeinde- und Regionsentwicklungsprozess hervorgehenden Gemeinden sind so gut aufgestellt, dass diese gegenüber anderen Gebietskörperschaften wieder autonomer auftreten und agieren können. Die Abhängigkeiten vom Gutwill/Wohlwollen der Länder und des Bundes werden verringert. Im Gegenteil, die neue Gemeinde wird um vieles selbstbewusster wahrgenommen und kann auch dementsprechend handeln.
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Die Gemeinden sind in der Lage, ihre verfassungsmäßig festgeschriebene Gemeindeautonomie weitgehend aus eigener Kraft für weite Strecken wiederzuerlangen.
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Auch wenn der Gemeindeentwicklungsprozess einiges von allen Beteiligten abverlangen wird, werden Klarheit und Verständnis für die neuen Gemeindegrenzen als auch Identifikation mit der neuen Gemeinde geschaffen. Dasselbe gilt für den einen regionalen Gemeindeverband.
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Es handelt sich nicht um eine „Gemeindefusion“ im üblichen Sinne, sondern vielmehr um eine Gemeinde- und Regionsreform, die weit mehr bewirken wird als eine übliche Gemeindefusion.
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Mit der Wahl eines neuen Gemeindenamens bleibt der Name des eigenen Ortes bestehen und damit verbunden auch der Bezug zum bzw. die Identifikation mit dem eigenen Wohnort.
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Je nach Angelegenheit werden individuelle Schlüssel für die Investitionen, Betriebsführung bzw. Finanzierung als auch für die Aufteilung der Erträge innerhalb des EINEN regionalen Gemeindeverbands vereinbart. Dies führt zu mehr Transparenz und Kostenwahrheit.
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Zusammen mit der Bürger:innenschaftwird die Zukunft der eigenen neuen Gemeinde als auch der ganzen Region aktiv und nachhaltig
Jetzt braucht es nur noch den MUT,
es zu TUN!
Gaschurn, 27.06.2024
Martin Netzer, MSc
Siehe auch das Ergebnispapier der Arbeitsgruppe Gemeindeentwicklung „Was Gemeinden in Zukunft brauchen“, bei welchem ich mich 2017/18 auch einbringen durfte.